Die Sprache der Bilder
Zu den Bildern von Gudrun Höritzsch
Es gibt diesen berühmten Satz von Ludwig Wittgenstein:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Ganz abgesehen davon, dass er ihn ohnehin etwas anders gemeint hat, als wir ihn meist verstehen, ist das nur die halbe Wahrheit – denn worüber man nicht sprechen kann – oder möchte – das kann man malen, zeichnen, drucken...., auch tanzen, spielen, darstellen....
Womit wir bei den Bildern Gudrun Höritzschs wären. Es sind Bilder, die sich auf ganz eigenartige Weise der Sprache entziehen, weil sie ihre Geschichten mit bildnerischen Mitteln und eben anders als mit Worten erzählen – als Kompositionen in Farben, Strichen, Flecken, Kratzern, Prägungen, die sich zu mehr oder weniger erkennbaren Figuren, Gegenständen, Häusern, Landschaften, farbigen Figuren und Wesen fügen – immer etwas anders und immer über das hinausgehend, was wir zu kennen und zu erkennen meinen.
„Ich weiß nicht genau, wo ich beginnen soll. Es ist schwer. Da ist all die vergangene Zeit, die die Worte nicht hervorholen werden, da sind die Gesichter, das Lächeln, die Wunden. Dennoch muss ich versuchen auszusprechen, was... mein Herz nicht zur Ruhe kommen lässt. Das schlechte Gewissen, die wichtigen Fragen. Ich muss das Geheimnis mit dem Messer öffnen wie einen Bauch, muss es ergründen, selbst wenn sich dadurch rein gar nichts ändern wird.“ Schreibt der wunderbare französische Schriftsteller Philipp Claudel über das Schreiben eines wunderbaren Romans namens „Die grauen Seelen“. Darin seziert er die Seelen der Bewohner eines Dorfes, die Schreckliches, aber auch Schönes erlebt haben. Und so ähnlich ist das wohl auch mit den Bildern von Gudrun Höritzsch, so ähnlich ist das wohl mit dem Malen, dem Zeichnen, mit jeder Kunst überhaupt. Sie ist wie schmerzhaftes oder auch lustvolles (was manchmal dasselbe ist) Sezieren dessen, was man erlebt, erdacht, gewünscht, geträumt hat, dessen, wovon man eben nicht sprechen kann.
Tatsächlich sind Gudrun Höritzschs Bilder oft wie Quer- oder Längsschnitte durch Orte, Gedanken, Gefühle, Situationen, Simultanaufnahmen von Seelenzuständen, Empfindungen, Meinungen, die sich nicht so leicht auf einen Nenner, auf einen Satz, oft aber auf einen Titel bringen lassen. Sie legen viele Schichten des Lebens und der Welt frei – und wie immer, wenn man etwas freilegt, verdeckt man etwas anderes.
Da sind die Orte, die auf dramatischen Untergrund stehen. Während sich oben nur ganz schlicht Häuser und Wege zeigen, fest und für jeden sichtbar, harmlos und immer für ein Postkartenmotiv gut, toben die wahren Konflikte darunter in einer durchlöcherten, umkämpften Erde voller Hohlräume, Verdichtungen, Verwerfungen, Holzwege, Sackgassen und Querverbindungen. Dies erinnert in doppelter Weise an Landschaften wie die, in der Gudrun Höritzsch lebt, im Erzgebirge, das seinen Reichtum und sein Dilemma diesen unterirdischen Turbulenzen verdankt, das aber, provinziell, wie es nun einmal meistens auch ist, in jeder Beziehung auch Wert auf den schönen, idyllischen Schein und die verschlossene Tür legt, hinter der sich die wahren Dramen des Lebens abspielen und das, wie alle Welt, auf unsicherem Grund steht. Dies aufzugreifen wiederum hat gar nichts mit Provinz zu tun – eher mit der Provinz, die die Welt überall ist, am deutlichsten dort, wo sie sich ganz bewusst verschleiert.
Manchmal scheinen in diesen Bildern Sonnenauf- und -untergang gleichzeitig stattzufinden, und in den Köpfen ist viel Raum für alle möglichen Gedanken, für Erfahrungen, Ängste, Hoffnungen - oft geben die Titel, auf die Gudrun Höritzsch viel Wert legt, einen Hinweis, in welche Richtung das Denken gehen könnte. Da gibt es eine „gläserne Wand“, die keinen Schutz bietet und vielleicht doch noch mehr trennt, als es eine gemauerte Wand tun könnte. Da sind die „Treppchensteiger“, denn für eine dunkle Ironie ist Platz, und einen „Feldbefehl“ gibt es auch. Manchmal gibt es die wahren Abenteuer in einem wahren Kopf, manchmal angedeutete zwischenmenschliche Beziehungen, manchmal den Einzelnen oder die Einzelne, eingehüllt in einen Schutzraum, der nicht wirklich schützt.
Manchmal erinnern die Bilder an die Arbeit des Bergmannes, wie ihn Novalis beschrieben hat: „Arm wird der Bergmann geboren, und arm geht er wieder dahin. Er freut sich mehr über die wunderlichen Bildungen der metallischen Mächte, die Seltsamkeiten seiner Herkunft und ihrer Wohnungen, als über ihren alles verheißenden Besitz.“
Wie in aufgebrochenen Kristallen und nicht nur zum Schmuck gibt es in vielen Bildern geheime Zeichen, Symbole, Runen, Einsprengsel, Verkapselungen, Elemente aus der Natur, die auf das Leben mit all seinen Verzweigungen, Verästelungen hindeuten. Manchmal scheinen sich die Farben geradezu befreien zu wollen, ohne dass es ihnen gelingen würde, manchmal scheinen die Bilder fast an ihrer eigenen Erzählung zu ersticken, werden jedoch immer aufgefangen vom kultivierten Farbempfinden der Künstlerin und der intuitiven Komposition, die sich den Farben und Formen auch ausliefert und Zufälle beim Malen und Zeichnen geschehen lässt.. Kein Zufall, dass die Bilder oft in aufwändigen Techniken – mehrfarbigen Holzschnitten, Übermalungen grafischer und zeichnerischer Elemente – gemacht sind, die nicht nur der Wahrheit des ersten expressiven Strichs vertrauen, sondern während der Arbeit Veränderungen zulassen. Auch ihren Gemälden sieht man an, dass Gudrun Höritzsch von der Grafik kommt.
Und letztendlich erzählen diese Bilder auch davon, dass es uns nicht nur gut gegangen ist in all diesen Jahren. Dass sie trotzdem nicht in dunklen Farben verharren, sondern oft in einem ganz zauberhaften Licht strahlen, mag einem Grundvertrauen entspringen, dass vielleicht mit dem Satz von Ernst Bloch am besten beschrieben ist: „Wenn wir aufhören zu hoffen, kommt, was wir befürchten, bestimmt.“ Wenn wir nur hoffen, übrigens auch....
Und so sind diese Bilder wie erdachte Traumlandschaften oder wie geträumte Denklandschaften - im Werden, im Fluss, in einer stetigen Veränderung. Diese Bilder erzählen davon, wie weit Schein und Sein manchmal auseinander klaffen, und die hellen, leuchtenden Farben täuschen manchmal darüber hinweg, dass das Nachdenken traurig macht – aber deshalb ist es ja das Denken. Nur wer nie denken würde, könnte immer fröhlich sein. Die andere, die nachdenkliche Traurigkeit hingegen, kann man auch in heiteren Farben malen, die kann man sogar heiter ertragen. Und vielleicht geht es uns damit wie mit den Morgenland-Bildern, die Novalis in seinem „Heinrich von Ofterdingen“ beschreibt: „Man sinnt und sinnt, einzelne Bedeutungen ahnet man... Der unbekannte Geist derselben erregt ein ungewöhnliches Nachdenken, und wenn man auch ohne den gewünschten Fund von dannen geht, so hat man doch tausend merkwürdige Entdeckungen in sich selbst gemacht, die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüt eine lange, lohnende Beschäftigung geben.“
Matthias Zwarg 2010
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Zur Ausstellung "Ein Quantum Trost" (Galerie Laterne Chemnitz)
Vor dem Was kommt das Wie. Aber das Was folgt nach.
In der Wahrnehmung jedenfalls meistens, mithin in der Kunst. Ich spreche vom
Erzählen, ich spreche vom Theater, von Sprache spreche ich, vom Deutlichmachen und
vom Undeutlichen, wenn ich von diesen Bildern rede, die lautlos, aber nicht sprachlos,
unbeweglich, aber das Auge auf Trab haltend hier in der Galerie Laterne an der Wand
hängen. Alles sonst geschieht im Auge des Betrachters.
Gudrun Höritzsch erzählt uns etwas, indem sie es u.a. in Holz schneidet und druckt -
in der Technik der verlorenen Form, die nur so heißt, denn eigentlich wird ja in ihr eine
Form gefunden. Aber wie Gudrun Höritzsch das tut, wird immer auch etwas vom Holz
erzählt, ja, im besten Fall scheint es, als erzähle das Holz selbst etwas von sich, da wird es
zum Sprechen gebracht über sein Wachsen, über's Abgeholztwerden, über's Trocknen und
Reißen, über's Sich-Aufbäumen, Hobel und Säge, Leim und Verschränkun; ins Rauschen
der Wipfel nebenan mischt sich das Knacken im Gebälk, so geht es nämlich zu im Ober-
stübchen; das Mobilar spricht von Säge und Messer, von Kerbe und Schnitt, von knarrenden
Dielen in der Erinnerung - und Holzhacken für den Ofen, von Leisten, Balken und Brettern,
Splittern und Spänen - man könnte hier vom Hölzchen auf's Stöckchen kommen, wenn man
dem zuhört und das gehörte referiert.
Und nicht nur im Holzschnitt geht davon die Rede. Dieselbe Grammatik der Formen,
derselbe Wortschatz des bearbeiteten Holzes, so möchte ich es einmal nennen, tritt uns
auch auf den Bildern in Öl auf Leinwand - collagiert mit älteren Materialien oder über-
zeichnet mit Kreide - und auch in den gleich als Mischtechnik ausgewiesenen Arbeiten auf
Papier oder Bütten entgegen. So entsteht ein sprachlicher Kosmos aus Anspielungen und
Handlungsrahmen, Grob- und Feinstruktur der Erzählung, die sich daraus entfaltet.
Immer kommen sozusagen zwei Geschichten auf die Bühne von Gudruns Welttheater,
die miteinander verflochten sind - und nicht als Inhalt und Stil voneinander zu trennen.
Was uns vordringlich interessieren soll, ist, wie sich diese immanente Geschichte vom
Holz, die selbstverständlich für eine Geschichte vom Menschen steht, jeweils zur anderen
Erzählung im Bilde, also der von den Türmen und Brücken, Schachspielern, Städten und
Königreichen, die uns im Titel versprochen und über alle fünf Akte bis zum Schluss vorgeführt werden, verhält. Ich gebe vier Beispiele.
Ein Bild heißt "Das Haus auf meinen Schultern" (Holzschnitt aus dem Jahr 2014).
Die Schultern sehen wir nicht, stattdessen das Haus wie einen eingezogenen Kopf bis an die
Dachtraufe in der Erde versunken - oder ist das die Horizontlinie, also nur im Hintergrund,
der sich in der Malerei, die alles nebeneinander setzt, nach vorn verschiebt? Wahrscheinlich,
aber da der Horizont ja auch Himmel und Erde trennt - seit dem Barock, das die Teilung in
beide Bildhälften einführte, heißt es: Himmelreich und Jammertal..., bleibt bestehen: In
den Himmel wächst hier kein Traum, kein Baum, stattdessen wird eine deutliche Trennung
zweier Sphären anvisiert. Im unteren Teil sammelt sich das Schwere, Lastende, da gehen
auch die Dämonen ums Haus, im oberen Teil gibt es Luft und Licht, selbst die Fenster sind
ausschließlich da oben, ein Etwas hängt kopfüber von der Decke, dass die Dämonen hier
fernhält. Aber diese strikte Teilung in oben und unten ist dann auch wieder aufgehoben -
einmal durch die Spiegelbildlichkeit der Sphären: die untere scheint sich zuspitzen zu
Wollen, als ob die der oberen, dem Dach, ähnlich werden könne, was freilich nicht völlig
gelingt, denn sie muß ja noch das Fundament bilden. Andererseits ist dem Haus auch das
Bild eines Baumes zentraleingeschrieben, dessen Wurzel einer der Hausdämonen bildet, der
lebendigste, rumorendste, eine Art Alraune. Den Stamm verdeckt fast völlig eine Leiter,
die nicht allein den Aufstieg ermöglicht, denn auch nach unten dringt das obere Lebens-
element, Luft und Licht - ich sagte es bereits, durch und schafft Raum zwischen all dem
dort aufgestapelten Ballast, bevor es am unteren Bildrand versickert. Nur so kann da unten
überhaupt noch gelebt werden, wo schon von außen die Nacht eindringt, die auch die
Himmelskörper wie einen Hof umgibt. Und es wird gelebt, ganz offenbar, mit einer
manchmal ans Groteske grenzenden Vehemenz. Darauf deutet die bis ins Detail durchge-
haltene skurrile Bildsprache, die das alles auch immer noch auf Distanz hält. Darauf deutet
auch der zackig, flackernde Stil, in dem das alles erzählt wird. Das Haus auf den Schultern
ist auch der Kopf auf den Schultern. Die Dämonen können bei näherem Hinsehen auch eine
ganz natürliche Erklärung finden usw. - Ich belasse es (für dieses Bild) dabei und überlasse
aller Selber-Sehenden ihren eigenen Gedanken und Gefühlen,
Was uns an Kunst interessiert, ist ja nicht ihr konkreter privater Hintergrund, über den
wir freilich gern spekulieren, weil wir alle nichts wissen, gar nichts, wir Klatschbasen...
und dann stehen wir mit beiden Beinen im Fettnapf. Nein. - Was uns an Kunst berührt, ist
das, was sich verallgemeinert über die üblichen Verallgemeinerungen hinaus oder an ihnen
vorbei: das Individuelle und sein anrührender Ton, der uns im Inneren mitschwingen lässt,
ohne dass wir das Rätsel seiner Herkunft lösen. Dieser Ton ist nur über einen Mut zu
erreichen, der sich auch schützen muss.
Häufig tauchen Messer als Metapher und Verletzungen als Thema in den Bildern auf.
Auch Fesselung, "Mundtot" und ausweglose Spielsituationen, Türme, Mauern, Grenzen.
Harmlos oder gesellschaftsfern ist Gudrun Höritzschs Kunst nicht. Vom Idyll kann keine
Rede sein, allenfalls vom geplatzten. Ein Holzschnitt heißt: "Auf Messers Schneide", eine
Collage, Öl auf Leinwand von 2012 lässt "Die Brücke" über aufgestellten Klingen gehen.
Man erinnert sich:Jungs reißen Latten vom Zaun, um sie als Schwerter zu kreuzen - dieses
Bild lebt fort in den Träumen von Staketen und Palisaden, den Einfriedungen, die Frau und
Mann umstellen; Messer aus Holz, Menschen als ein Aufbäumen, störrische Triebe, ein-
schneidende Maßnahmen. - Es reicht nicht aus, das wird bis jetzt schon klar geworden sein,
den Themenkreis von Holz und Wald auf Natur und Landleben zu beschränken. Im
Wilischthal wohnt man am Wald, aber Hinterwäldlerei ist Gudrun Höritzsch fremd. Wie man
schon dem Thema, erst recht - natürlich - dem Bild "Gesellschaftsgleichnis" (Öl, Kreide auf
Hartfaser) entnehmen kann, öffnet sich das Private durchaus zum Sozialen hin:
Die Distanz zwischen zwei Grundstücken ist nur ein Katzensprung, aber schon für die
Katze ist er nicht ungefährlich. Für Menschen allenfalls ein Traum, ein Ideal, das als weißes
Band, ein Schleier (?), leicht wie Tüll, die Brücke in den Himmel schlägt. Denn eine Doppel-
reihe spitzer Zaunpfähle ist praktisch unüberwindbar, ja, sie ist sogar durch einen purpurnen Vorhang gewissermaßen geheiligt. Hier herrscht fremdes Eigentumsrecht. Noch
genauer zu werden, verbietet sich, denn es soll ja gerade nicht um Propaganda gehen,
sondern um ein verallgemeinerbares "Gleichnis", das für viele Absurditäten steht, die sich
im Grunde selbst gleichen. Gerade das wehende Band über dem Katzensprung ist die Pointe des Bildes, meine ich - und sehe ich, denn dieses Bildelement ist es, das lebt, flattert, sich
bewegt. Freilich lässt sich das alles auch ganz anders deuten, aber diese Deutung ist meine.
"Spiel-Ende die Türme bleiben" heißt eine weitere Arbeit in Mischtechnik auf Papier- Die Türme, selbst auf einem Schachbrettmuster fußend, sind die Spieler, das Brett mit dem Schachmatt für einen von beiden oder dem Remis? - das wissen wir nicht, steht wie
ein geschlossenes Tor aufgerichtet, den Zugang zu den Trümmern der Schlacht, vermutlich
den Leichenbergen der geschlagenen Firuren verstellend. Ganz hinten erhebt sich eine Art
Neues Jerusalem in den Himmel, als wäre die Apokalypse gerade vollbracht; das wird ja immer gesagt, dass sich nach dem letzten Gefecht das Gute vom Verworfenen trennnt und belohnt wird, damit die Opfer nicht umsonst waren.
Aber die Türme bleiben, der Entgültigkeit ist nicht zu trauen. Wird es eine Revanche
geben? Sicherlich. Nach dem Spiel, könnte man verharmlosend sagen, ist vor dem Spiel,
doch die zinnenbewehrten Turmkronen deuten auf eine Stabilität, die nicht viel Spielerisches an sich hat. Im Bild ist es eng geworden. Mit den Spielen der Macht, denke ich, ist nicht zu spaßen. Allerdings - ganz unbeschädigt ist der Burgfrieden nicht und auch das Tor scheint nicht ganz mehr zu verschließen...
Bevor uns das im Titel der Ausstellung versprochene "Quantum Trost" ganz und gar
nur noch als ein Quäntchen erscheint und wir uns mit dieser Dosis womöglich zufrieden
geben, möchte ich ein weiteres Blatt (Mischtechnik auf Bütten von 2014) aufschlagen, nämlich das Bild "Haus der schönen Künste". Welches Haus konkret gemeint sein könnte,
weiß ich nicht. Jedenfalls ist es ein verhältnismäßig kleines, zwei bis drei Stockwerke hoch, innen größer wirkend als von außen, offen und einladend, was besonders hervorgehoben ist,
weil es vor der Brandmauer eines größeren Hauses steht, auf die es allerdings abgefärbt
zu haben scheint. Allerlei Zeichen sind da auf den Putz gehauen, wohl eher unbefugt als im Auftrag des Vermieters, aber man weiß ja mittlerweile gar nicht mehr, ob so was die
Lebensqualität im Viertel nun senkt oder doch merklich anhebt. Die schönen Künste selbst,
soweit sie im Haus wohnen, sind teils zum niederknien, teils knien sie selbst und beugen
den Hals wie ein Fragezeichen, teils spuken sie auch durch die Etagen oder spielen Totem
und Tabu - frei nach Siegmund Freud. Wir sind hier in der Stadt und Holz bleibt hier
weitgehend unter der Decke. Viel Grün scheint hier nicht zu sprießen, dafür manches
andere. Die Komposition wirkt durch die Umverteilung der Lasten wie eine Umkehrung des
eingangs beschriebenen "Haus"(es) "auf den Schultern". Das belebende Element ist hier das
untere. Es breitet sich in der Stadt aus und stichelt nach oben, wo der Himmel bewölkt, aber die graue Langeweile nicht mehr lange zu halten ist. Man darf getrost auch darin ein
Gesellschaftsgleichnis sehen.
Hans Brinkmann März 2015
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Zur Ausstellung "Parcours" (Gellert-Museum Hainichen)
Wer das Gellert-Museum kennt, dem erzähle ich nichts neues über die Fabel. Möchte man
meinen. Aber ich bin ja nicht hier, um über die Fabel zu fabulieren, sondern eine Ausstellung von Arbeiten der Künstlerin Gudrun Höritzsch einzuleiten, diese freilich lässt uns manches Bedenkenswerte erkennen - und eben auch einiges über die Fabel. Weniger über die Tierfabel, obwohl sich auch gelegentlich Tiere ins Bild gebracht finden, etwa ein "Gestrandeter Fisch" (ziemlich "dekonstruiert"), als über die Fabel beim Erzählen, den Anfang, das Ende, den roten Faden dazwischen, die Moral von der Geschicht' am Schluss.
Hin und wieder wird man ja gebeten, einmal kurz zu erläutern - in den berühmten drei Sätzen, was denn ein Bild nun darstellen soll. Dass man es als "gewöhnlicher Betrachter" nicht auf Anhieb erkennt, ist da schon akzeptiert. Bilder werden, wenn sie als Kunst auftreten, als erklärungsbedürftig, irgendwie verworren, vernebelt, verrätselt, verschlüsselt und verschlossen - kurz: als Aufgabe wahrgenommen. Als Nuss, die geknackt gehört. So muss Kunst eben sein. Um Interpretation wird gebeten, das lässt sich schon verlangen, vielleicht von einem oder einer Studierten oder gleich von der Künstlerin. Mir kommt das immer ein wenig resigniert vor. "Guckt es euch doch erst einmal an!", würde Gudrun Höritzsch sagen, jedenfalls habe ich sie ds schon mal sagen gehört. Und ich kann da nur zustimmen.
Der Volksmund sagt: "Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?" Und meistens wird die Frage so verstanden, dass man die Wörter "einfach" und "kompliziert" nur auszutauschen bräuchte, was man in Gedanken auch tut, und schon wäre dem natürlichen, vernünftigen, ordentlichen Zustand die richtige Maxime gegeben. Aber der Volksmund hat auf eine andere Weise recht. Je tiefer man sich in eine Sache hinein versetzt, hineindenkt,
hinein manövriert, desto irritierender, unvorhergesehener und am Ende komplizierter stellt sie sich dar. Nicht immer, aber oft. Wir haben das alle schon erlebt, obwohl wir gerne daran glauben möchten, wir würden, im Gegenteil, immer schlauer und gewiefter.
Irgendwann kennt man sich aus - und steht dann plötzlich doch noch überrascht vor einer veränderten Lage. Ein berühmtes Zitat abwandelnd, könnte man sagen: "Wer sich's zu einfach macht, den foppt das Leben," (Und nicht immer treibt es harmlose Scherze.)
Modernes Erzählen, so lernen es die künftigen Literaturwissenschaftler im Studium, betreibt die Auflösung der Fabel. Warum?, lautet eine selten gestellte Prüfungsfrage. Lassen wir die Antwort dahingestellt sein.
Ich erkenne dergleichen auch in der bildenden Kunst, wenn sie erzählerisch wird; vielleicht ist es da sogar noch offensichtlicher. - Wenn ich also beispielsweise die Geschichte, die ein Bild von Gudrun Höritzsch mir erzählt, kurz und bündig gefasst nacherzählen sollte, dann müsste ich das Aufgelöste doch wieder zusammensetzen. Aber mache ich damit nicht die ganze Arbeit - oder vielleicht nicht die ganze, aber einen großen, wesentlichen Teil - zunichte?
Und stellte womöglich die Künstlerin obendrein als eine hin, die das, was jeder andere Mensch, mich eingeschlossen, einigermaßen leicht zusammenfügen kann, einfach nicht zusammen kriegt?
Das wäre nicht nur ungerecht, dabei würde ich mich auch einer bequemen Überheblichkeit schuldig machen, von mir selber beflissen schweigen und völlig außer Acht lassen: Vieles, was uns - allen! - heutzutage zustößt, ist einfach nicht im Kopf auszuhalten, ja mitunter nicht einmal in den Kopf hineinzukriegen, und wir sollten froh sein, dass wir diese Kunst haben, die uns all das immerhin auf den Tisch legt; auf der Tafel, auf dem Tafelbild oder einem graphischen Blatt usw. ausbreitet und einigermaßen ordnet.
Auflösung der Fabel ist nämlich kein Spiel, sondern eine ernste Angelegenheit. Ehrlicherweise eine Notwendigkeit. Es geht um die Schwierigkeit der Wahrnehmung. Um unsere Schwierigkeiten, ob wir uns nun Gesellschaft oder Volk oder Menschheit oder Familie oder Publikum oder Allergrößtes Ego aller Zeiten oder Meine Wenigkeit nennen.
Ob wir als ein Wir auftreten oder als Alleinstellungsmerkmal auf zwei Beinen. Der Philosoph Peter Sloterdijk drückte es unlängst so aus: er habe noch nie etwas erlebt, das sich in einem vollständigen Satz ausdrücken ließe.
Die Erzählung ist das eine, das Leben das andere. Was nicht gegen die Fabel oder gegen die Grammatik spricht. Im Gegenteil. Um eine Form zu zerbrechen, muss erst mal etwas in eine Form gebracht werden. Erst einmal muss etwas in den Zeilen geschrieben stehen, damit man zwischen den Zeilen lesen kann.
Ja gut, wird man jetzt einwenden, aber wir hätten doch gern gewusst, welche Geschichte von welchem Ereignis uns da denn nun erzählt wird. Auflösung schön und gut, aber wovon denn nun? Eine Zeichnung auf Papier heißt: "Abgewickelt", ein anderes Bild, Mischtechnik , basierend auf einer Holzschnittcollage auf Leinwand, überarbeitet mit Ölfarben, Kreide und Bleistift, nennt die Künstlerin "Treppchensteiger". Wieder ein anderes - als Holzdruck, Monotypie, Tusche, Kreide, Farb- und Bleistiftzeichnung ausgewiesen - stellt die Frage: "Wer trägt was oder was trägt wer?" Das sind doch alles gesellschaftlich bedeutsame Wörter, da werden doch Themen angesprochen, die nicht einfach weggeredet werden sollten.
Andere Bilder deuten stärker ins Private, das natürlich auch ein allgemeines ist, sonst bräuchte es uns ja gar nichts anzugehen. Aber beunruhigt und letztlich auch auf unverwechselbar eigene Weise angesprochen werden wir durch die Art und Weise des Wie.
Wie wird uns all das erzählt? Warum - beispielsweise - so viele Techniken und Materialien? Wenn man auf die Webseite schaut, sieht man, dass manches erst als Zeichnung entstanden ist, dann als technisch aufwändigeres Bild. Es wird gerungen um eine gültige Form, was nicht im Widerspruch zur Formsprengung steht, man schaue sich nur ein Bild wie "Spaltung" an, das aus der Trennung und Aufteilung der Bildelemente, aus der "Sortierung" sozusagen, eine neue Ordnung schafft. Oder es wird ein Thema variiert, frühere Arbeiten werden als Material für Collage verwendet. Wie altes Holz für einen neuen Bau.
Keinen Angst, wenn Sie einen früheren Holzschnitt besitzen sollten, er ist deshalb nicht verworfen. Der Druck eignete sich nur dafür, obwohl für sich genommen fertig geworden, ein Stück weitergeführt zu werden, seine Geschichte war noch nicht auserzählt. Außerdem, was sollte das Blatt in der Schublade? Es gab noch Anschlüsse für Fortsetzung und Entfaltung.
Das scheint mir auch eine wesentliche Aussage der Bilder von Gudrun Höritzsch zu sein:
das Vertrauen darauf, dass es irgendwie weiter geht nach allen Schicksalsschlägen. Ihre Arbeit durchzieht ein Strömen der Zeit, das nicht abbricht.
Angefangen hat es bei ihr mit Holzschnitten der verlorenen Form, das war lange ihr bevorzugtes Ausdrucksmittel, ihr Markenkern, wenn man so will, obwohl sie da auch schon gemalt hat, im Laufe der Zeit ist sie immer mehr zu Mischtechniken gekommen, die Bilder sind gestisch reicher geworden durch spontanere Arbeitsphasen im Wechsel mit überlegt konstruierten.
Das Zeitgefühl ist kein ruhig fließendes. Der Strom geht durch die Schnellen, verwirbelt und schäumt. Oder das Leben ist ein Hindernislauf, wie es die Monotypie "Parcours", die der heutigen Ausstellung den Namen gibt, behauptet.
Bisweilen sind die Arbeiten drastisch, etwa die Zeichnung "Abgewickelt". (Seltsamerweise nicht nur voller Fitz, sondern mit einem Knäuel. Wurde da ein Labyrinth "abgewickelt"?) Dann wieder wurde sehr genau und besonnen an der Komposition gebaut, wenn man sich ein Gemälde wie "Brandstifter" (Collage/Öl/Kreide/Bleistift auf Leinwand) anschaut.
Gudrun Höritzsch überschreitet mit ihren Mischtechniken nicht nur Genre-Grenzen, sie reichert die Genres auch an. Graphik, Zeichnung und Malerei durchdringen einander und geben ein Mehr als die Summe der Teile. Auch das ist nicht nur formaler Stilwille, das ist eine inhaltliche Aussage.
Meine Damen und Herren, ich glaube es ist mittlerweile klar geworden, dass man diesen Arbeiten nicht gerecht wird, wenn man versucht, ihnen ihr Geheimnis zu entreißen.
Das Beharren auf der Hermetik des künstlerischen Ausdrucks ist heutzutage schon ein politischer Akt geworden. Zu oft werden wir mit nicht erbetenen Indiskretionen belästigt. Wichtiger sollte uns aber sein, was von dem einzelnen Bild ausgeht, gerade auch vom Gestus des Verbergens und Andeutens, der bei Gudrun Höritzsch ein sehr vehementer Gestus ist. Denn auch dieser kann eine Ermutigung, eine Energiequelle sein.
Wer Bilder ihrer künstlerischen Qualität wegen liebt, ihrer technischen Finesse, Originalität und Kultiviertheit, sollte sich zu dieser Liebe bekennen dürfen. Sie ist selten geworden, kostbar und alles andere als der Genuss eines Oberflächenreizes.
Hans Brinkmann Januar 2019